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Thonet in Boppard

Bopparder Fauteuil
Bopparder Fauteuil

Michael Thonet wurde am 2. Juli 1796 in Boppard am Rhein geboren. Sein Vater Franz Anton (*31.8.1761, ⴕ 18.7.1837) war von Andernach 1778 in das circa 40 Kilometer rheinaufwärts gelegene Boppard gekommen, die Gründe dafür sind nicht bekannt. Franz Anton Thonet arbeitete in Boppard als Gerber. Das Recht, dieses Gewerbe auszuüben, hatte er sich erheiratet; der verstorbene zweite Mann seiner Frau Anna war Gerber gewesen und um das wirtschaftliche Überleben der Familie zu sichern, drängten die Zünfte darauf, dass die Witwe möglichst bald wieder heiraten sollte, um „sie und ihre Kinder vor Armut zu schützen.“

Michael, der einzige Sohn der Familie, hatte nach seiner Volksschulzeit eine Tischlerlehre absolviert; dass er sich nicht für das Gerberhandwerk entschieden hatte, erklärt sich sicher auch mit dem wenig einträglichen Geschäft des Vaters. Der Sohn dürfte diese Lehre spätestens 1810 begonnen und nach einer Lehrzeit von drei Jahren beendet haben. Was lag also näher, als einen Gewerbeschein für das Handwerk zu beantragen, in dem der Sohn ausgebildet wurde oder bereits war. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Werkstatt schon während der französischen Zeit gegründet wurde, was auch eine Obligation zugunsten eines gewissen Augustin Knoodt aus dem Jahr 1813 erklärt. Die Einrichtung eines Schreinerbetriebs erforderte ein gewisses Kapital, über das die Familie nicht verfügte, es sich also leihen musste.

Die Werkstatt florierte, doch war offenbar nicht der Vater die treibende Kraft für den sich einstellenden Erfolg, vielmehr war er es, der wirtschaftlich auf den Sohn angewiesen war, weshalb er 1816 ein Gesuch stellte, Michael vom Dienst in der preußischen Landwehr freistellen zu lassen.

Das Jahr der Gründung einer eigenen Werkstatt dürfte nach dieser und weiteren Quellen nicht erst 1819, das Jahr, welches in dem Gedenkblatt genannt wird, sondern spätestens 1816 gewesen sein.

Die zunehmenden wirtschaftlichen Probleme in den 1830er Jahren – über die wir durch eine Reihe von Schuldverschreibungen und Darlehen gut unterrichtet sind – und letztendlich das unternehmerische Scheitern Michael Thonets in Boppard hatten ihre Ursachen nicht allein in den zeitlich und finanziell aufwändigen Versuchen, die er in seiner Werkstatt anstellte und auch nicht – wie in der Gedenkschrift kolportiert – in den Kosten der Anmeldung der Patente , vielmehr beruhten sie auf einem vollkommenen Unverständnis eines in den 1830er Jahren aufkommenden neuartigen Vertriebsmodells, des Verlagswesens. Man fertigte nicht mehr auf Bestellung, sondern auf Vorrat, um die Nachfrage möglichst schnell bedienen zu können. Und der Vorteil des Thonetschen Herstellungsverfahrens lag ja gerade darin, dass die Möbel durch die Verwendung identischer Formen schnell und in großer Anzahl gefertigt werden konnten und nicht erst dann hergestellt werden mussten, wenn ein konkreter Auftrag dafür vorlag.

Michael Thonet entspricht dem Typ des Fabrikgründers im 19. Jahrhundert, der aus dem Handwerk kommt. Er ist kein Kaufmann, geschweige denn ein Financier, der über ein entsprechendes Kapital verfügt. Michael Thonet blieb Zeit seines Lebens immer der „schlichte Handwerker“, als der er sich selbst bezeichnete, und aus diesem Grund musste er mit seinen Plänen einer Produktion „im Großen“ in Boppard scheitern. Den Anforderungen an eine auch kaufmännisch verantwortungsvolle Leitung seiner Werkstatt war er nicht gewachsen.

Am 25. August 1840 reichte Michael Thonet einen Patentantrag bei der Bürgermeisterei seiner Heimatstadt Boppard ein. Die Neuigkeit, auf die er ein Patent beantragte, bestand darin, dass er ein Verfahren entwickelt hatte, geschweifte Möbelbestandteile aus Furnierbündeln herzustellen. Als Vorteile seiner Methode gegenüber der alten, nach der geschweifte Bauteile aus massivem Holz geschnitten wurden, nannte er deren größere Festigkeit bei geringerem Holzaufwand, ihre Leichtigkeit und eine schnellere Fertigung durch die Verwendung identischer Formen.

Doch auch dieser Versuch scheiterte. Das Ministerium in Berlin ließ sich auf diese Argumentation gar nicht erst ein, konnte wohl auch keinen allgemein volkswirtschaftlichen Nutzen in dieser Erfindung sehen und begründete seine Ablehnung nach wie zuvor mit der fehlenden Neuheit.

Michael Thonet und sein Financier, Johann Walther van Meerten, hielten sich im Frühjahr 1842 in Wien auf, um ein Patent für Österreich zu beantragen und Verwertungsrechte daran zu verkaufen. Es war nicht geplant, dass es ein langdauernder Aufenthalt sein sollte, noch im März hatte Thonet Gesellen gesucht, die „dauernde Arbeit in der Fabrik gepreßter Möbel in Boppard finden“. Damit die Familie in der Zwischenzeit handlungsfähig blieb, hatte der Vater am 1. Juli 1842 seine Ehefrau Anna und den volljährigen Sohn Franz durch eine Vollmacht mit allen Rechten ausgestattet, seine Interessen in Boppard wahrnehmen zu können. Doch spitzte sich die Lage dort immer weiter zu. In einem Brief vom 8. September 1842 an den Vater in Wien beschreibt der älteste Sohn Franz die Situation. Die Gläubiger drohten, den Vater und auch van Meerten verhaften zu lassen; Möbelsendungen nach Wien wurden mit Beschlag belegt.

Das Patent für Österreich wurde zwar erteilt, konnte jedoch nicht verwertet werden, da sich keine Lizenznehmer fanden. Eine Rückkehr nach Boppard war ausgeschlossen. Es waren keine finanziellen Mittel zur Begleichung der Schulden vorhanden, was die Voraussetzung gewesen wäre, dort wieder arbeiten zu können. Dies war spätestens im September 1842 offenkundig. Franz schrieb nach Wien, dass die Mutter und die Geschwister zu dem Vater kommen werden, er selbst organisierte noch die Versteigerung des Thonetschen Besitzes in Boppard und reiste im Frühjahr 1843 nach Wien.